
Hier nochmal so ein Eintrag aus dem Tagebuch.
Ich habe ihn nach 4 Wochen stationärer Therapie geschrieben.
Heute - knappe drei Jahre später - kann ich sagen: Ich habe mich sehr verändert.
Doch, ich habe noch Panikattacken und Ängste, aber ich funktioniere nicht mehr auf Knopfdruck.
Ich nehme mich ernster, ich gehe bewußter mit mir um.
Und: Wenn ich in alte Muster zurück zu fallen drohe, habe ich drei Menschen, die mir das sagen, falls ich es nicht schon selbst gemerkt habe...
Urvertrauen, Urängstewie ein roter Faden....
Diese Ängste, die ich habe...
Meine
Strukturen, über Jahre aufgebaut und miteinander verwachsen hielten die
die ganze Zeit im Zaun, hatten anscheinend die Kontrolle. Die Struktur
diente der Kontrolle. Wenn alles unter Kontrolle war und für alle evtl.
auftretenden Störfaktoren eigens dafür vorgesehene Pläne
ausgearbeitet waren... Irrsinn. Und dann kommt diese Bewohnerin und
vernichtet mit einem Sprung meine gesamte wohlstrukturierte Welt. Weg
mit dem Netz und doppelten Boden. Zerschmettert...
Für Suizid um 5.50 Uhr gab es keinen Plan, kein Netzwerk.
Supergau.
Beim Aufprall der Bewohnerin platzt die Bombe. Meine Struktur ein Trümmerhaufen, ein nicht mehr zusammenpassendes Puzzle.
Und
weil die Struktur weg ist, kommt die Angst hoch. Angst, die jahrelang
hinter einer scheinbar sicheren strukturierten Welt eingesperrt wurde...
Und was für eine Angst.
Angst
zum Davonlaufen. Weg von hier. Die Angst ist in mir. Wie kann ich vor
mir weglaufen? Komme ich nicht gleichzeitig mit mir und meiner Angst an?
Urvertrauen...
Wieso
kann ich meine Mutter nicht beschreiben. Mein Vater war streng,
herrisch, aber auch liebevoll und sanft. Harte Schale, rauher Kern.
Meine Mutter... Wie war sie? Ich weiß es nicht. Warum weiß ich es nicht?
Ich war fast 14 als sie starb. Ich habe kein Bild vor Augen.
Ich weiß, daß sie keinen Fernseher mochte, gestrickt hat. Die kaputte Hüfte...
Aber ich weiß nicht
wie sie war. War sie liebevoll, freundlich, verständnisvoll?
Hat meine Mutter mich geliebt? War ich ihr jemals wichtig? War sie stolz auf mich?
Gab
es irgendwann mal eine Zeit in meinem Leben in der ich gut war, allein
durch mein Dasein? Gut, ohne eine Leistung vorweisen zu müssen.
Gut, einfach nur durch das sein...
Oder
war ich schon immer ungenügend, gerade so ausreichend und die Lücken
werden mit Leistung und Struktur aufgefüllt? So viel Struktur und
Leistung bis der letzte Überrest von ungenügend und gerade so
ausreichend verdorrte.
Da könnte ein ganzes Stück Unsicherheit herkommen. Mein Widerstand gegen diese Therapie.
Mit
einem Sprung brach die Struktur zusammen, die Angst erhielt ihre
Freiheit wieder. Breitet sich auch noch aus wie Luft in einem Vakkuum.
Und wenn ich jetzt hier die Trümmer beiseite schaffe, lege ich den Blick frei auf *Ungenügend* und *gerade ausreichend*...
Dann ist das was von mir überbleibt, ungenügend und gerade ausreichend.
Und das soll gut sein?
Die haben hier nur Gutes für mich im Sinn.
Die wollen mir nichts Böses.
DIe wollen mir helfen.
Ich habe Angst, furchtbare Angst.
Ungenügend, gerade so ausreichend.
Wie soll man damit leben, überleben.
Ist ungenügendes überlebensfähig? Lebenswert?
Vielleicht auch liebenswert?
Scheiße,
die Struktur hat mir scheinbare Sicherheit gegeben. Die Sicherheit war
nicht echt, wahrscheinlich niemals. Sie hat geholfen zu überleben. Ja,
aber Sicherheit und Geborgenheit sind anders...
Vielleicht sollte
ich es ausprobieren. Versuchen. Vielleicht bin ich ja nicht ungenügend
und gerade so ausreichend. Es könnte ja sein, daß dieses Bild von mir
geanuso falsch oder verdreht ist, wie die scheinbare Sicherheit, die ich
mir geschaffen habe?
Also doch:
Wer auf dem Wasser laufen will, muss aus dem Boot steigen!