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Depressionen oder Alkohol, oder Beides?

Es sollte wirklich noch lange dauern, bis ich die Wahrheit endlich sah.
Im September 1999 kauften wir uns ein Haus. Wir wollten was eigenes haben, ein bißchen Garten, Platz für die Kinder...
Irgendwann in dieser Zeit wurden bei meinem Mann Depressionen diagnostiziert. Dafür bzw. dagegen gab es ein entsprechendes Pillenrezept.
Da kein Medikament so richtig anschlagen wollte, wurde viele getestet, höher dosiert, wieder abgesetzt... Antidepressiva in Tablettenform waren die einzige Therapie.
Der Psychiater stellte die Rezepte aus und mein Mann schluckte...

Von unserem Freundeskreis und Umfeld zogen wir uns immer mehr zurück.
Einladungen zu Geburtstagen sagten wir oft kurzfristig ab und fuhren recht schnell wieder.
Er konnte mit seinen Depressionen so vieles nicht ertragen...
Warum ich nicht mit den Kids alleine losgefahren bin, ist schnell erklärt.
Ich hatte Angst vorm Autofahren, in fremden Gelände, am Ende noch über die Autobahn... Undenkbar.
Irgendwann blieben Einladungen aus, Besuch kam immer seltener, weil... na ja, er war soooo depressiv.

(Entschuldigung, wenn das jetzt etwas respektlos erscheint. Ich möchte mich keineswegs über Depressionen lustig machen.
Das wäre auch ziemlich dumm: Ich schlucke mittlerweile auch ein Antidepressivum.
Das ist aber eine spätere Geschichte und ich werde sie später erzählen.)

Ich weiß noch, daß ich damals mit einer Freundin telefonierte und mich darüber beschwerte, wie furchtbar das doch sei: Seine Depressionen und vom Psychiater kommen nur Pillenrezepte. Ich hab öfters mal gesagt, man könne doch mal eine zweite Meinung einholen oder evtl. mal ein Klinikaufenthalt.
Das wurde immer mit einer abwehrenden Handbewegung bei Seite gewischt:
*Der Doktor weiß was er tut, er genießt mein vollstes Vertrauen*
Nun, meins hatte er nicht. Ich hatte meine eigene Meinung und die hat sich bis heute nicht geändert.

Die Zeit plätscherte dahin. Er trank sein Feierabendbier, schluckte seine Pillen und schlief allabendlich schon während der Tagesschau ein.
Eheleben fand keins statt.
Das ärgerte mich einerseits, andererseits diese Bierfahne... DAS wollte ich auch nicht.

Das Blatt schien sich im Juli 2004 zu wenden. Plötzlich war von stationärer Therapie die Rede.
Halleluja, es geschehen noch Zeichen und Wunder.
Er sollte am 6. Juli in einer Klinik in der Umgebung aufgenommen werden.
Ich wollte ihn hinfahren, auch um zu wissen wo er ist für die Besuchstage.
Er bestand darauf alleine zu fahren. Wir stritten regelrecht, weil ich das nicht verstehen wollte.
Nun, am Nachmittag wußte ich warum und verstand umso mehr.

Er fuhr morgens los und um die Mittagszeit kam ein Anruf. Heulend wurde mir berichtet, daß man da auf gar keinen Fall bleiben könne. Ich müsste mir mal die Mitpatienten angucken und die Unterbringung. Da sei ein Schlafsaal. Also, wenn er da bleiben müsse, würde er sich umbringen.
Das war natürlich das Letzte. Ein Depressiver mit Suizidgedanken. Es bestand Handlungsbedarf.
Ich sagte ihm, er solle heimkommen, wenn er sich dazu in der Lage fühlen würde, ich würde in der Zwischenzeit gucken was sich machen lässt.

Umgehend rief ich in der Praxis an, schilderte die aktuelle Situation, betonte noch wie froh ich sei, daß endlich mal was getan werden würde, aber das sei wohl nicht das Richtige und erkundigte mich nach Alternativen.
Die Arzthelferin am anderen Ende meinte dann, das sie das gar nicht verstehen könne, man hätte dort so gute Erfahrungen gemacht.
Nun, das wollte ich nicht abstreiten, aber da mein Mann da nicht bleiben wolle...
Die Arzthelferin darauf hin: Das ist aber schade, na ja man sieht es ihm ja auch nicht an.
Ich:???? und fragte ganz blöd was?
Sie: Na ja, den Alkoholismus. Wir haben hier auch länger gebraucht bis wir es merkten.
Ich: Hä? Da liegt wohl eine Verwechslung vor. MEIN Mann hat Depressionen.
Sie: Also in die Klinik sollte er wegen Alkohol...

Mir zog es am Telefon fast den Boden unter den Füßen weg. Alkohol.
Da die Arzthelferin merkte, dass sie gerade ihre Schweigepflicht massiv gebrochen hatte, bat sie uns um einen Besuch in der Praxis am Nachmittag.
Bis dahin war noch Zeit. Die Kids waren in der Schule und ich hatte reichlich Zeit mir das gerade Gehörte durch den Kopf gehen zu lassen.
Das gab eine Achterbahn der Gefühle. Ich war stinkend sauer, auf ihn, auf mich. Wie konnte ich das nicht merken, oder wollte ich es nicht?
Boah. Ich ging von Depressionen aus und dabei säuft der *nur*... Ich war zornig, wütend, hilflos.
Bis er aus der Klinik und die Kids aus der Schule kamen hatte ich ganze Arbeit geleistet.
Unser Haushalt war alkoholfrei.
Sämtliche Flaschen waren außer Haus: Pfandabgabe und Glascontainer. Der Inhalt floß vorher durch das Spülbecken in der Küche.
Und das war nicht wenig. Wir hatten einen Weinhändler, bei dem wir gerne mal eine Kiste orderten. Da gab es einen wunderbaren Sherry. 12 Flaschen pro Kiste, 3 Kisten.
DEN Alkohol ließ er stehen. (Er hatte es damals schon mehr mit Bier und Schnäpsen, häufig Ouzo, Korn, Wodka...)
Traumhafte Weine ohne Kopfwehgarantie für den nächsten Tag. Auch mehrere Kisten, dabei ein Wein zur FussballWM 1990, ein süffiger Italiener.
Alles weg. Ich hab immer gefrotzelt, falls wir Ratten in der Kanalisation hätten, hätten die an jenem Mittag DIE Party schlechthin gehabt.
Wahrscheinlich sind die armen Viecher ins Koma gefallen und jämmerlich ertrunken...
Das war am 5. Juli 2004
Wie es weiterging schreib ich morgen...

Danke fürs Lesen, Gute Nacht.

Inne halten 20.05.2015, 23.00

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